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Biographien

Villinger und Schwenninger Schicksale

Viele der bisher in den Mahnwachen verlesenen Schicksale von Opfern des Nationalsozialismus in Villingen und Schwenningen sind hier, oder über die linke Seitenleiste auswählbar.

Alphabetisch geordnet






Karl Schäfer (01.01.1888-08.06.1938)

Im Jahr 1938 verstarb der Schwenninger Sozialdemokrat Karl Schäfer im Konzentrationslager Welzheim bei Stuttgart, wobei man genauer sagen müsste: Er ist dort ermordet worden. Wie es zu dieser erschütternden Unrechtstat kam, darüber soll in den folgenden Abschnitten berichtet werden.


Familie, Ausbildung, Beruf
Geboren ist Karl Schäfer in Ludwigsburg im Jahr 1888. Doch schon im Alter von 12 Jahren kommt er mit seiner Familie nach Schwenningen, weil sein Vater hier einen Arbeitsplatz gefunden hat. Er absol-viert an seinem neuen Wohnort die letzten beiden Schuljahre und macht danach eine Mechaniker-Lehre bei der damaligen Maschinenfabrik Schneider. Anschließend geht er für ein paar Jahre nach Düsseldorf, kehrt aber 1909 wieder zurück und heiratet zwei Jahre später die gebürtige Villingerin An-na Geiselmann. Bald darauf wird auch sein Sohn geboren, der ebenfalls den Namen Karl erhält. Im 1. Weltkrieg verschlägt es ihn zu einer Funker-Kompanie. Deshalb kann er nach der Rückkehr aus dem Krieg in einem Geschäft für Radiotechnik eine Anstellung finden. Einige Jahre später - ab 1927 - betreibt er in der Talstraße 25 ein sehr gut gehendes Fahrradgeschäft, zu welchem auch ein Motorrad-Kundendienst gehört, den sein Sohn übernimmt.


Politisches Engagement
Karl Schäfer engagiert sich ehrenamtlich in vielen Organisationen der Arbeiterbewegung. So ist er z.B. sehr aktiv und beliebt als stellvertretender Vorsitzender des "Turnerbund Jahn" - so hieß damals die heutige "Freie Sportvereinigung" (FSV Schwenningen) - außerdem ist er Vorstandsmitglied im "Radfahrerbund Solidarität" sowie einfaches Mitglied in vielen anderen Vereinen. Und bereits lange vor dem 1. Weltkrieg ist er engagiertes Mitglied der SPD, der Sozialdemokratischen Partei, die damals in Schwenningen sehr stark ist. Schwenningen gilt damals als die "rote Hochburg", in der es die Nazis anfangs recht schwer haben, als sie 1933 an die Macht kommen.


Letzte Chance legaler Opposition
In diesem Schicksalsjahr 1933 ist er Mitglied des letzten Schwenninger Stadtrats, in welchem sich noch mehrere gewählte Parteien befinden. In der Sitzung vom 5. Mai nutzt er zusammen mit den vier anderen SPD-Ratskollegen die letzte Chance legaler Opposition: Gemeinsam lehnen sie den Antrag ab, Adolf Hitler zum Ehrenbürger der Stadt Schwenningen zu ernennen. Allerdings muss gesagt wer-den, dass die KPD-Stadträte nicht mehr Nein sagen konnten, sie waren entweder schon verhaftet oder auf der Flucht. Alle anderen anwesenden Parteien stimmten zu. Woran man sieht, dass schon damals einiger Mut vonnöten war, der Öffentlichkeit zu zeigen, dass man abweichender Meinung war. Nur wenige Wochen später wird die SPD verboten, ab diesem Zeitpunkt gelten oppositionelle Handlungen als illegal.


Verhaftung wegen "Hochverrat"
Genau 5 Jahre später - Mai 1938 - wird Karl Schäfer in seinem Haus in Schwenningen von der Polizei festgenommen. Er wird des Hochverrats beschuldigt und kommt zunächst ins Untersuchungsgefäng-nis Rottweil. Von dort wird er ins Stuttgarter Gestapogefängnis eingeliefert. Bereits dieses Gefängnis mit dem Beinamen "Hotel Silber" ist wegen der dort üblichen brutalen Foltermethoden äußerst berüch-tigt, doch noch schlimmere Erfahrungen macht Schäfer anschließend im KZ Welzheim.Was ist passiert, was genau wird ihm von den braunen Machthabern zur Last gelegt, worin besteht sein "Hochverrat"? Der besteht darin, dass er sich - im Unterschied zu den meisten seiner Mitbürge-rinnen und Mitbürger - nicht mit dem menschenfeindlichen Terror-System der Nazis abfinden will und deshalb bereit ist, etwas dagegen zu tun, das heißt also: Widerstand zu leisten.


Verbindungen in die Schweiz
Für Widerstandsaktionen im südwestdeutschen Raum sind damals Verbindungen in die Schweiz sehr hilfreich. Viele ehemalige Schwenninger Sozialdemokraten haben über die früheren, in Deutschland jetzt verbotenen Arbeitersportvereine noch guten Kontakt zu Gesinnungsgenossen aus den ehemali-gen Partnervereinen in Kreuzlingen, Zürich, Schaffhausen usw. Diese Verbindungen werden z.T. auch jetzt noch - also nach Hitlers Machtübernahme - privat gepflegt. Sie bieten nun auch die Möglichkeit, nazi-feindliche Druckschriften über die Grenze nach Deutschland zu schmuggeln und dort zu verteilen. Diese Druckschriften stammen zum großen Teil von der Exil-SPD, welche ihre Zentrale in Prag hat und versucht, die Herrschaft der Nazis von außen zu bekämpfen.


Politischer Widerstand
Auch Karl Schäfer hat viele Kontakte in die Schweiz und bei einem seiner Besuche - meistens mit dem Motorrad - lernt er den deutschen Emigranten Erwin Schöttle kennen. Dieser ist der Vertreter der Exil-SPD in der Schweiz und lebt in St. Gallen. Erwin Schöttle, nach dem Krieg über lange Jahre Vi-zepräsident des deutschen Bundestags in Bonn, gelingt es nun, Schäfer für Widerstandsaktionen in Schwenningen zu gewinnen. Vermutlich im Jahr 1934 beginnt Schäfer Anti-Nazi-Flugblätter, Zeitungen und Broschüren der Exil-SPD von Schöttle zu beziehen. Dies immer auf sehr risikoreichen Wegen, denn das subversive Material muss erst über die Grenze gebracht werden, in der Regel in Konstanz oder Schaffhausen. Manchmal ist Schäfer selbst unterwegs, aber meistens sind es Kuriere aus Kreuzlingen oder Konstanz, die die verbotenen Schriften nach Schwenningen bringen. Diese verteilt Schäfer dann geheim an alte Schwenninger SPD-Genossen, - meistens in seiner Fahrradwerkstatt in der Talstraße. Mit denselben Genossen hält er dann im Jahr 1935 in einem Wirtshaus bei Königsfeld ein konspirati-ves Treffen ab. Dort wird auch darüber diskutiert, ob und wie man die illegale Arbeit in Schwenningen vertiefen, also eine Art Widerstands-Zelle aufbauen könnte. Die Meinungen gehen sehr auseinander. Doch schon bald nach diesem Treffen werden zwei der Teilnehmer - nämlich Herbert Holtzhauer und Karl Glunz - nach einer polizeilichen Hausdurchsuchung verhaftet, wenn auch in ganz anderem Zu-sammenhang. Karl Schäfer erfährt in letzter Minute davon und kann gerade noch alle verdächtigen Materialien beseitigen. Dadurch gelingt es ihm, die Hausdurchsuchung, die nun bei ihm stattfindet, zu überstehen. Jedoch der Schock sitzt tief. Ab diesem Zeitpunkt sind keine Anti-Nazi-Aktivitäten aus Schwenninger SPD-Kreisen mehr bekannt.


Aufdeckung des illegalen Netzes
Drei Jahre später, 1938, schlägt die Gestapo dann doch noch zu. Kuriere, welche illegale Druckschrif-ten aus Kreuzlingen nach Konstanz, Schwenningen und Frankfurt transportiert haben, sind verhaftet worden. Dadurch werden der Gestapo dann auch die Namen der Schwenninger bekannt und deshalb die oben erwähnte Verhaftung von Karl Schäfer. Aber auch zehn weitere ehemalige Genossen aus seinem Umfeld werden ca. 2-3 Wochen später festgenommen und in einem Prozess vor dem Ober-landesgericht Stuttgart abgeurteilt.


Tod im KZ Welzheim
Karl Schäfers Verfahren jedoch soll vor dem berüchtigten "Volksgerichtshof" in Berlin stattfinden, der Oberreichsanwalt selbst hat seinen Fall an sich gezogen. Aber der Prozess kann dann nicht mehr stattfinden, denn Schäfer hat die mörderischen Bedingungen im KZ Welzheim, in das er eingeliefert worden ist, nicht lange überlebt. Dieses Konzentrationslager heißt zwar offiziell nur "Polizeigefängnis Welzheim", es gilt aber unter seinem brutalen Kommandanten Karl Buck als das grausamste KZ in Südwestdeutschland. Am 8. Juni 1938, seinem Todestag, wird Karl Schäfer - wahrscheinlich auf Anweisung der Stuttgarter Gestapo - einer sog. "Sonderbehandlung" unterzogen. Ohne Nahrung und offenbar erbarmungslos misshandelt kommt er völlig zerschlagen bei seinem Arbeitskommando an. Dort soll er eine Wasser-leitung bauen. Bei glühender Hitze und ständig angetrieben von der Bewachung erleidet er nach einer Stunde einen Hitzschlag. Er kann gerade noch nach Wasser rufen und fällt dann bewusstlos um. Ein Kollege eilt ihm zu Hilfe, ein anderer will ihm Wasser bringen, doch einer der Bewacher schlägt es ihm aus der Hand. Daraufhin kommt Karl Schäfer nicht mehr zu Bewusstsein, er stirbt, ein halbes Jahr vor seinem 50. Geburtstag.


Weitere "Staatsfeinde"
Auch manche andere Schwenninger Sozialdemokraten mussten ihre Gegnerschaft zur NS-Herrschaft mit Flucht, Freiheitsstrafen oder KZ bezahlen. Nach den vorliegenden Quellen waren dies vor allem:

  • Karl Ruggaber: sieben Monate KZ Heuberg, stirbt zwei Jahre später an den Spätfolgen der Haft
  • Herbert Holzhauer: zuerst zehn Tage Flucht, dann drei Monate KZ Heuberg, später Untersuchungsgefängnis Rottweil und erneut sieben Monate Gefängnis
  • Karl Glunz: vier Wochen Gefängnis, später Untersuchungsgefängnis Oberndorf, sechs Wochen KZ Welzheim
  • Erhard Schrenk: 1 ½ Jahre Zuchthaus Rottenburg, ein Jahr Festung Hohenasperg
  • Eugen Haller: 2 ½ Jahre Zuchthaus Ludwigsburg, einige Monate KZ Welzheim, neun Monate Gefängnis Horb
  • Otto Hranicka: ein Jahr und acht Monate Gefängnis
  • Alois Brehm: 1 ½ Jahre Gefängnis
  • Gotthold Gärtner: ein Jahr und drei Monate Gefängnis
  • Erwin Schrenk: ein Jahr und drei Monate Gefängnis
  • Wilhelm Gärtner: sieben Monate Gefängnis
Mehrwöchige Gefängnisaufenthalte erlitten außerdem Eugen Saile, Philipp Schrenk, Georg Haller


Keine Erinnerung an Karl Schäfer oder andere NS-Gegner
Doch sucht man heute in Schwenningen nach Erinnerungsspuren von Karl Schäfer, dann wird man schnell enttäuscht. Er, der versucht hat, ein Zeichen zu setzen gegen die braune Barbarei, der sein Leben für die Ideale einer besseren Welt riskiert und schließlich mit dem Tode dafür bezahlt hat - er scheint heute so gut wie vergessen. Keine Straße, kein öffentliches Gebäude, kein städtischer Saal erinnert an ihn, keine Gedenktafel oder Inschrift - z.B. an seinem ehemaligen Wohn- und Arbeitsort in der Talstraße -, kein Hinweisschild mahnt zum Gedenken. Karl Schäfers Name ist im öffentlichen Be-wusstsein der Stadt Villingen-Schwenningen heute nahezu unbekannt. Dies lässt sich im Grunde nur als skandalös bezeichnen!