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Biographien

Villinger und Schwenninger Schicksale

Viele der bisher in den Mahnwachen verlesenen Schicksale von Opfern des Nationalsozialismus in Villingen und Schwenningen sind hier, oder über die linke Seitenleiste auswählbar.

Alphabetisch geordnet






Louis Bikart (Familie) (?-?)

Louis wohnte mit seiner Frau Jeannette und ihren drei gemeinsamen Kindern Ruth, Sigmund und Silva Irene in der Waldstr. 11 - damals Adolf Hitler Str. genannt. Vater Louis Bikart, welcher ursprünglich aus Gailingen am Hochrhein stammte, war ab 1894 in Villingen gemeldet. Er besuchte die Realschule und arbeitete später als Viehhändler. Es war ein kleiner Betrieb. Im Stall standen meist sechs Tiere.

Louis genoss einen guten Ruf als fleißiger Geschäftsmann und war in Villingen auch durch seine sportlichen Aktivitäten beim FC 08 und der Narro-Zunft bekannt. Er gehörte mit Hugo Schwarz, einem anderen Villinger Juden, zu den Gründungsmitgliedern des FC 08.

Seine Frau, Jeannette Guggenheim wurde 1892 in Tiengen geboren. Sie heiratete Louis Bikart im Mai 1920. Jeannette wird als ruhige Frau beschrieben und war in der Familie für die Haushaltsführung und Kindererziehung zuständig. Ruth war ihr ältestes Kind. Sie kam am 11. Mai 1921 auf die Welt und besuchte nach der Volksschulzeit an der heutigen Klosterringschule die Handelsschule an St. Ursula.

Ruths Bruder Sigmund wurde 1922 geboren. Er ging an die heutige Karl- Brachat-Realschule, an welcher er als kontaktscheuer aber sehr sportlicher Schüler aufgefallen war.

Schwester Silva Irene Bikart wurde am 6. August 1926 geboren. Auch sie besuchte die Maidleschule am Klosterring.

Nach der Machtübernahme Hitlers im Jahr 1933 veränderte sich die Situation für die Bikarts. Es kam zu Bedrohungen und Einschränkungen für die Familie. Parteimitglieder wurden per Brief vor Juden gewarnt und der Einkauf bei ihnen als volksschädigend gebrandmarkt. SA Männer trafen sich abends immer wieder zu Versammlungen im Gasthaus "Waldschlössle" in der Nachbarschaft der Bikarts und zogen anschließend grölend mit antijüdischen Liedern am Haus vorbei, wie Sigmund Bikart später berichtete.

Sigmund selbst spielte beim FC 08 in der ersten Mannschaft, bis man ihm 1935 sagte, er brauche nicht mehr zum Training und zu den Spielen zu kommen. Er sei ausgeschlossen.

Ab 1935 hing auch am Schwimmbad ein Schild mit dem Hinweis: Juden sind hier unerwünscht.

Ein Jahr später erhielt Vater Louis wie andere Villinger Juden ein Arbeitsverbot. Die Geschäfte liefen schon in den letzten Jahren immer schlechter.

Das Arbeitsverbot war dann ein entscheidender Grund für die Familie Bikart die Heimat zu verlassen. So wundert es nicht, dass Louis Bikart das Angebot einer Bekannten annahm, das Haus in der Waldstraße gegen eines in Gretz in der Nähe von Paris zu tauschen.

Am 20. Januar 1937 verließ die Familie Bikart mit den drei Kindern Villingen und zog nahe Paris. Dort hofften sie, dem Naziterror entkommen zu sein. Doch zunächst durfte Louis Bikart nicht arbeiten, da er Ausländer war. So lebte die Familie von den Ersparnissen und vom Verkauf einiger Wertsachen. Als am 1.9.1939 der Weltkrieg ausbrach, wurde Louis als feindlicher Ausländer sogar interniert. Dann folgte die Katastrophe. Der sicher geglaubte Zufluchtsort wird zur Falle. Im Juni 1940 überfällt die deutsche Wehrmacht Frankreich und besetzt Paris. Zunächst können die Bikarts unerkannt von der deutschen SS und Gestapo leben. Louis, der schon vor der deutschen Besetzung von den Franzosen aus der Internierung befreit wurde, musste einen Arbeitsdienst leisten. Doch dann flog die Tarnung auf. Ab dem 1.6.1942 mussten zumindest die Eltern in Frankreich den Judenstern tragen.

Als Louis Bikart am 2. September 1942 von seinem Arbeitseinsatz nach Hause zurückkam, war das Haus von den Deutschen besetzt und seine Frau und die zwei Töchter wurden mit ihm verhaftet. Über das Sammellager Melun bei Paris kamen sie nach Drancy. Bald darauf folgte die Deportation. Louis Bikart, seine Frau und die zwei Töchter wurden am 6.11.1942 mit dem Transport 42 von Drancy nach Auschwitz deportiert. Dort wurden Ruth und Silva Irene vermutlich sofort ermordet, Jeanette erst später (1944/45).

Louis musste seinen Arbeitseinsatz leisten. Verschiedene Häftlinge bestätigten, dass er zunächst noch in mehreren Außenlagern von Auschwitz tätig war. Ein letzter Zeuge sah ihn sogar noch im Januar 1945, doch dann wird auch er ermordet.

Sigmund Bikart befand sich 1942 im Arbeitseinsatz in der Nähe von Paris und wurde rechtzeitig gewarnt, nicht nach Hause zu gehen. Er schloss sich dem Widerstand um Charles de Gaulle an und lebte zeitweise versteckt in der Zone Libre in Frankreich. Trotzdem wurde er noch 1942 verhaftet und kam nach Auschwitz. Dort traf er beim Arbeitseinsatz auch noch mal seinen Vater.

Sigmund überlebte als einziges Familienmitglied das KZ und wurde am 16.1.1945 im Alter von 23 Jahren befreit. Bei seiner Entlassung war er stark abgemagert und wog nur noch 35 kg. Sigmund Bikart wohnte zuletzt in Straßburg und starb im Jahr 2000. Sein Sohn hat bereits mehrmals Villingen besucht und kann nicht verstehen, warum bis heute nichts in dieser Stadt an seine Familie erinnert und demokratische Politiker im Gemeinderat einen Erinnerungsstein für seine Tanten und Großeltern verhindern.

(Heinrich Schidelko)