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Biographien

Villinger und Schwenninger Schicksale

Viele der bisher in den Mahnwachen verlesenen Schicksale von Opfern des Nationalsozialismus in Villingen und Schwenningen sind hier, oder über die linke Seitenleiste auswählbar.

Alphabetisch geordnet






Erich Honer (01.01.1911-01.01.1988)

Ende Mai 1933 - vier Monate waren erst seit der Machtübernahme der Nazis vergangen - befanden sich bereits über 50 der Schwenninger Kommunisten im Gefängnis, im KZ Heuberg oder auf der Flucht. Denn wie überall waren auch hier die führenden Mitglieder der KPD, die als Todfeinde des Nationalsozialismus von Anfang an am meisten Widerstand geleistet hatten, unerbittlich verfolgt worden.

Einer von ihnen war der Elektromechaniker Erich Honer, der zu den besonders Aktiven des Arbeiterwiderstands zählte. Er verbrachte sein ganzes Leben in Schwenningen - abgesehen von seinen Aufenthalten auf der Flucht, im Konzentrationslager, in Gestapogefängnissen oder am Ende des Krieges in einem militärischen Strafbataillon.

Kindheit, Jugend und politische Anfänge

Erich Honer wurde im Jahre 1911 in Schwenningen geboren. Nach der Grundschule besuchte er 4 Jahre lang die Realschule und absolvierte dann eine Lehre zum Elektromechaniker in der Uhrenfabrik Bürk-Söhne. Danach war er bei der Firma Steinel tätig, bis er dann auf dem Höhepunkt der Arbeitslosigkeit 1932 arbeitslos wurde.

Schon der Vater von Erich Honer war in der aufgewühlten Zeit nach dem Ersten Weltkrieg politisch aktiv und sehr revolutionär eingestellt. Im verhängnisvollen Bruderkampf der beiden Arbeiterparteien SPD und KPD, der als Dauerkonflikt um den richtigen Weg zu einer menschenwürdigen Gesellschaft auch in Schwenningen zu spüren war, hatte er sich für die Seite der KPD entschieden. So lag es nahe, dass auch sein auffallend aufgeweckter Sohn Erich sich hier engagierte, in den letzten Jahren vor der Machtübernahme Hitlers war er Vorsitzender des kommunistischen Jugendverbandes KJV.

Kampf gegen Hitlers Machtübernahme

"Hitler heißt Krieg", das war die Parole der KPD, Krieg nach innen und nach außen, und so bekämpft man die Nazis kompromisslos. Erich Honer organisiert in den letzten Monaten vor der Machtübernahme viele Aktionen, Versammlungen, Straßenaufmärsche, Flugblattverteilen. Einmal wird er beim Malen von AntiNazi-Parolen in der Bahnhofs-Unterführung von der Polizei erwischt, zusammen mit anderen, und es gibt eine wilde Verfolgungsjagd zu Fuß, bis er sich in einem Garten in der Neckarstadt verstecken kann.

Am 30. Januar 1933 versucht er zusammen mit anderen Aktivisten des sog. Erwerbslosenausschusses - hier waren die Arbeitslosen organisiert, die mehr kommunistisch orientiert waren - einen Generalstreik zu organisieren, in der Hoffnung, dass durch eine reichsweite Generalstreikbewegung Hitler in letzter Minute noch aufgehalten werden könnte. Während einer Demonstration werden die Arbeiter aufgefordert, nicht zur Arbeit zu gehen, vor den Betrieben werden Streikposten aufgestellt, doch letztlich scheitert der Versuch, weil zu wenige mitmachen und zu wenig Unterstützung von der örtlichen Parteiführung kommt. Die SPD-Führung ihrerseits wollte ohnehin keinen Generalstreik riskieren, da sie einen Bürgerkrieg befürchtete.

Flucht, Emigration, Untergrund

Nachdem schon im Februar im ganzen Reich viele bekannte politische Gegner der Nazis verhaftet worden oder zur Flucht gezwungen waren, begann Anfang März auch in Schwenningen eine Verhaftungswelle, die sich zunächst vor allem gegen die KPD richtete. In deren Verlauf wurden bis Ende Mai ca. 50 Mitglieder oder Sympathisanten verhaftet und in das Konzentrationslager Heuberg in Stetten a. k. M. verbracht. Erich Honer kann der drohenden Verhaftung nur durch Untertauchen entgehen. Zunächst versteckt er sich wie viele andere im Schwenninger Moos, übernachtet dort im Freien, danach etwa eine Woche bei einem Freund in der Schopfelenstraße 1, so dass die Polizei ihn nicht finden kann.

Schließlich entschließt sich der damals 22-Jährige zur Emigration und geht kurz danach bei Basel über die Grenze in die Schweiz, wo er von Sympathisanten aufgenommen und von Unterkunft zu Unterkunft herumgereicht wird. In Schaffhausen trifft er auf 2 Schwenninger Emigranten seiner Partei, Jakob Sulan und Herbert Schöne, mit denen er zusammen Anti-Nazi-Flugschriften über die Grenze schmuggelt. Da Honer bei einer Polizeikontrolle keine Papiere vorweisen kann, muss er schließlich die Schweiz verlassen und gelangt auf abenteuerlichem Weg über das Elsass ins Saarland. Hier beteiligt er sich einige Monate aktiv an Anti-Nazi-Aktionen seiner Partei, geht dann aber im Oktober 33 nach Stuttgart, um dort den Widerstandskampf im Untergrund anzuspornen.

"Hochverrat" und KZ

Doch bereits nach einigen Monaten, am 4. Februar 1934, wird er in Stuttgart verhaftet, denn ein aus Schwenningen stammender SS-Mann hat ihn zufällig auf der Straße erkannt. An diesem Tag beginnt für Honer ein lang andauernder Leidensweg, der ihn von Gefängnis zu Gefängnis und von KZ zu KZ führt. Zunächst wird er im berüchtigten Stuttgarter Gestapogefängnis "Hotel Silber" festgehalten und misshandelt, danach kommt er in das Konzentrationslager Oberer Kuhberg bei Ulm. Dieses ist wegen der Eiseskälte in den Kasematten der alten Festungsanlagen und wegen seines unmenschlichen Kommandanten Karl Buck noch wesentlich mehr gefürchtet. Wegen "Aufwiegelns und Hetzerei" wird Honer hier laufend zu ständigem Strafarrest mit Dunkelhaft verurteilt. Im August 34 kommt er zwar wegen einer Amnestie nach dem Tode des Reichspräsidenten Hindenburg frei und kann nach Schwenningen zurückkehren, doch ein gutes Jahr später (Oktober 1935) wird er wegen seiner illegalen Stuttgarter Tätigkeit erneut verhaftet und ins Stuttgarter Untersuchungsgefängnis eingeliefert. Das Oberlandesgericht verurteilt ihn "wegen Vorbereitung zum Hochverrat" zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus (30.4.1937).

Bei den "Moorsoldaten"

Die Strafe muss er zunächst im Zuchthaus Ludwigsburg verbüßen, doch bald kommt es noch wesentlich schlimmer. Er wird ins Emsland deportiert und in eines der gefürchteten Moorlager bei Papenburg eingeliefert. Die Häftlinge dort müssen mit primitiven Werkzeugen wie dem Spaten härteste Knochen-Arbeit bei der Trockenlegung der Sümpfe leisten. Im bekannten "Lied von den Moorsoldaten", das in diesen Moorlagern von Häftlingen geschrieben und gesungen worden ist, kommt das erbarmungslose Schicksal der Betroffenen in vielen Facetten zum Ausdruck:

Lied der Moorsoldaten
Wohin auch das Auge blicket, Moor und Heide nur ringsum. Vogelsang uns nicht erquicket, Eichen stehen kahl und krumm. Wir sind die Moorsoldaten und ziehen mit dem Spaten ins Moor.Heimwärts, heimwärts jeder sehnet, zu den Eltern, Weib und Kind. Manche Brust ein Seufzer dehnet, weil wir hier gefangen sind. Wir sind die Moorsoldaten und ziehen mit dem Spaten ins Moor.
Hier in dieser öden Heide ist das Lager aufgebaut, wo wir fern von jeder Freude hinter Stacheldraht verstaut. Wir sind die Moorsoldaten und ziehen mit dem Spaten ins Moor.Auf und nieder gehn die Posten, keiner, keiner kann hindurch. Flucht wird nur das Leben kosten, Vierfach ist umzäunt die Burg. Wir sind die Moorsoldaten und ziehen mit dem Spaten ins Moor.
Morgens ziehen die Kolonnen in das Moor zur Arbeit hin. Graben bei dem Brand der Sonne, doch zur Heimat steht der Sinn. Wir sind die Moorsoldaten und ziehen mit dem Spaten ins Moor.Doch für uns gibt es kein Klagen, ewig kann's nicht Winter sein. Einmal werden froh wir sagen: Heimat, du bist wieder mein. Dann ziehn die Moorsoldaten nicht mehr mit dem Spaten ins Moor!

Man kann sich vorstellen, dass sehr viele der Häftlinge bei dieser Schinderei zu Tode kamen, so z. B. der bekannte Publizist und Friedensnobelpreisträger Carl von Ossietzky. Er musste ebenfalls in einem emsländischen Moorlager Zwangsarbeit leisten und starb 1938 an den Spätfolgen der unerträglichen Bedingungen.

Erich Honer kommt 1937 in eines dieser Sumpfland-Lager, und auch seine Gesundheit ist den grauenhaften Verhältnissen dort nicht gewachsen. Er erkrankt so schwer an den Nieren, dass er ins Krankenhaus Papenburg eingeliefert wird. Dort wird er im August 1938 als "unheilbar" so wörtlich entlassen.

Im "Strafbataillon 999"

Zuhause in Schwenningen erholt er sich aber dann doch wieder von der qualvollen Krankheit. Nach inzwischen über 30 Monaten Gefängnis, Zuchthaus und KZ kann er jetzt einige Jahre in seiner Heimatstadt leben. Er findet auch Arbeit in der "Württembergischen Uhrenfabrik", allerdings unter permanenter Polizeikontrolle. Doch nach vier Jahren kommt dann im dritten Kriegsjahr 1942 der nächste Schlag: Er muss in die sog. "Bewährungstruppe 999" einrücken, im Volksmund als "Strafbataillon 999" bekannt. In ihm werden alle wie es hieß "wehrunwürdige" Personen, also ehemalige Zuchthaus- und Gefängnisinsassen, zusammengefasst und müssen unter sehr erschwerten Bedingungen kämpfen. Auf diese Weise gelangt Honer in den Afrikafeldzug nach Tunesien und gerät dort im Mai 1943 in englische Kriegsgefangenschaft. Schließlich landet er über England in einem Kriegsgefangenenlager in den USA.

Nachkriegszeit in Schwenningen

Als er 1946 wieder nach Schwenningen zurückkommt, muss er mit Schrecken feststellen, dass seine Frau nicht mehr da ist. Er muss erfahren, dass sie in den letzten Tagen der Diktatur von der Gestapo abgeholt, ins Rottweiler Gefängnis verschleppt und dort umgebracht worden war.

7 Jahre später heiratet er seine zweite Frau Maria. Er engagiert sich dann wieder politisch für die KPD bis zu deren Verbot 1956 und ist sehr aktiv in antifaschistischen Organisationen tätig, z. B. in der VVN, der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes. Er kehrt zurück in die "Württembergische Uhrenfabrik" und ist dort über lange Jahre ein sehr geachteter Betriebsratsvorsitzender.

Erich Honer stirbt 1988, die Trauerfeier findet unter großer Anteilnahme und mit zahlreichen Trauergästen aus ganz Baden-Württemberg statt - ein Zeugnis der großen Popularität Honers bei der Schwenninger Bevölkerung, aber auch weit darüber hinaus.

Ungebrochener Lebenswille

Was für ein Mensch war Erich Honer, der die vielen Verfolgungen und alle damit verbundenen Strapazen letztlich trotz aller Entbehrungen überstanden 16 Erich Honer hat? Liest man in den persönlichen Briefen, die er aus den Gefängnissen und Konzentrationslagern an seine erste Frau Ida geschrieben hat, ragen in ihnen vor allem die Tapferkeit, die positive Lebenseinstellung, aber auch seine Sensibilität hervor. Der Leser ist geradezu gerührt über den liebevollen Tonfall gegenüber seiner Frau, über das Einfühlungsvermögen, wie er Anteil nimmt am schwierigen Leben seiner Angehörigen zu Hause. Genauso beeindruckt ist man aber auch von der inneren Kraft Honers, von der Zuversicht, dem Optimismus und sogar Humor, die ihn trotz aller schlimmen Erlebnisse und bitteren Erfahrungen nie verlassen haben. Sein Lebenswille konnte von den braunen Machthabern nicht gebrochen werden.

Haft, Flucht, KZ für viele andere Schwenninger Aktivisten

Neben Erich Honer müssen auch viele andere Aktivisten aus dem Umfeld der Schwenninger KPD genannt werden, die ihre Gegnerschaft zu den Nazis und ihren aktiven Widerstand ebenfalls mit Verfolgung, Haft und Exil büßen mussten.

Dies waren insbesondere
  • Jakob Sulan: zuerst 1,5 Jahre Flucht und Exil in der Schweiz, 4 Jahre KZ Dachau, 6 Monate in verschiedenen Haftanstalten wie Rottweil, Stuttgart, Plötzensee in Berlin, Festung Torgau an der Elbe
  • Josef Schmid: 1 Monat KZ Heuberg, 4 Wochen Gefängnis Rottweil, 1 Monat KZ Welzheim, 4 Monate KZ Flossenbürg, dort umgekommen (Jan. 1942)
  • Erwin Mey: 4 Monate Gefängnis Heilbronn, 8 Jahre KZ Dachau und Mauthausen
  • Ludwig Becker: 6 Jahre KZ Buchenwald
  • Wilfred Acker: 1,5 Jahre KZ Heuberg und Kuhberg, dann Flucht und 10 Jahre Exil in der Schweiz
  • Paula Acker, geb. Löffler: 6 Monate im Frauengefängnis Gotteszell, 3 Jahre in verschiedenen Gefängnissen, dann Flucht und 6 Jahre Exil in der Schweiz
  • Mathilde Müller: 9 Monate Frauengefängnis Gotteszell, weitere 2 Monate Gefängnis
  • Frieda Moser: 2 Monate Frauengefängnis Gotteszell
  • Herbert Schöne: lebt halbes Jahr versteckt, ca. 1 Jahr KZ Heuberg und Kuhberg
  • Jakob Schmidt: 6 Monate KZ Heuberg
  • Hugo Schlenker: 10 Monate KZ Heuberg und Kuhberg
  • Georg Danner: 6 Monate KZ Heuberg
  • Otto Faller: 8 Monate Gefängnis in Rottweil und Stuttgart
  • Bertold Furtwängler: 5 Monate KZ Heuberg, 2 Monate Gefängnis
  • Franz Albus: 3 Monate Gefängnis Oberndorf, 14 Monate Strafgefängnis Ulm
  • Eugen Leitermann: 8 Monate Gefängnis Stuttgart und KZ Welzheim

Eine beeindruckende Liste von menschlichen Schicksalen, die dabei keineswegs vollständig ist.

Aber nicht nur die KPD, sondern auch die andere Partei der Arbeiterbewegung, die SPD, hatte unter schonungsloser Verfolgung und Haft zu leiden. So z. B. der Fahrradhändler Karl Schäfer, der im Jahr 1938 im KZ Welzheim grausam zu Tode kam, oder der ehemalige Schwenninger Landtagsabgeordnete Karl Ruggaber, der nach 7 Monaten Haft das KZ Heuberg vom Tode gezeichnet verließ und gut 2 Jahre später an den gesundheitlichen Folgen gestorben war.

Kein Gedenken

Deshalb lässt es sich nur als unwürdig und beschämend bezeichnen, wenn in ganz Schwenningen, in dieser ehemaligen Hochburg der württembergischen Arbeiterbewegung, kein einziger Hinweis auf die Opfer des Arbeiter- Widerstands zu finden ist. Gut 70 Jahre sind seit dieser barbarischen Diktatur vergangen, aber in der gesamten Stadt sieht man keine Gedenktafel, keine Inschrift, kein Hinweisschild zum Andenken an diejenigen, die sich im Namen von Menschlichkeit und Humanität gegen das Unrechtsregime gewehrt haben und dafür mit ihrer Freiheit, ihrer Gesundheit, zum Teil sogar mit ihrem Leben bezahlt haben.

(Dieter Brandes und Ekkehard Hausen)