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Biographien

Villinger und Schwenninger Schicksale

Viele der bisher in den Mahnwachen verlesenen Schicksale von Opfern des Nationalsozialismus in Villingen und Schwenningen sind hier, oder über die linke Seitenleiste auswählbar.

Alphabetisch geordnet






Felix Zaitschek (25.02.1901-06.10.1935)

Ich bin am 25. Februar 1901 als eines von neun Kindern in Hagen/Westf. geboren. Nach den üblichen acht Jahren Volksschule, mache ich eine kaufmännische Lehre in Recklinghausen, danach bin ich, bis zum Ausbruch der Krankheit, in verschiedenen kaufmännischen Stellungen.

Kurz nach dem 1. Weltkrieg erkranke ich an Tuberkulose, vermutlich durch Mangelernährung in den Kriegsjahren. Verschiedene Kuren unter anderem in Sanatorien im Schwarzwald von 1921 bis 1930 werden mir bewilligt. So verbringe ich viel Zeit – mit Unterbrechungen – in Todtmoos.

Meine Erwerbstätigkeit hier in Villingen ist zuerst ein reines "Reisegeschäft", später betreibe ich daneben ein offenes Ladengeschäft. Zum Zeitpunkt der Machtergreifung der NS ist dieses Geschäft noch im Anfangsstadium, aber im hoffnungsvollen Aufstieg. Ich melde es am 1. März 1929 als Gewerbebetrieb an, beschrieben als Manufaktur-, Aussteuerartikel-, Konfektions- und Schuhwarengeschäft. Zunächst in der Bickenstr. 11, später Brunnenstr. 5, zuletzt in der Bickenstr. 8. Zuletzt hatte ich kein offenes Ladengeschäft mehr, sondern einen Verkaufsraum im IV. Stock und noch einen kleinen Raum zur Aufnahme meiner Waren. Die Waren werden von mir zum Teil im Hausierhandel, zum Teil auf Bestellung vertrieben.

Außer dem Ladengeschäft habe ich ein "gut eingeführtes Reisegeschäft mit größerem Kundenkreis in der Umgebung von Villingen" (Kunden in St. Georgen, Donaueschingen, Neustadt; meine Reisetätigkeit ist typisch drei bis vier Tage in der Woche). Ich bin in den ersten Jahren Kunde der Engros-Abteilung von Salomon Bloch, mit "namhaften Umsätzen" und habe ein bis zwei Angestellte. Ich wohne hier, in der Sebastian-Kneipp-Str. 36 bei meinen Eltern bis zur Abmeldung nach Milwaukee/USA am 21. August 1938.

In der NS-Zeit bin ich fortwährenden Boykott- und Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt, 1936 bis 1937 dazu ständige Angriffe durch DAF und Einzelhandel. Ich bemühe mich um Auswanderung und im August 1938 zahle ich 2.700 RM an die Deutsche Golddiskontbank, Berlin, und deshalb bestehen "devisenrechtlich keine Bedenken" gegen die Auswanderung. Dazu kommen noch "Unbedenklichkeitsbescheinigung" und "keine Steuerrückstände".

Fragen Sie sich, worin die Boykottmaßnahmen bestanden: Nun, wiederholt werden vor meinem Geschäft Nationalsozialisten sowohl in Privatkleidung als auch in Uniform postiert, die die Kunden vom Eintritt in meinen Laden abhalten sollen. Anfang 1938 dringen etwa fünf Nationalsozialisten in meinen Laden ein und greifen unter Beschimpfungen mich und die anwesenden Kunden an. Als ich hierüber bei dem Polizeiamt in Villingen Beschwerde führte, wird mir angedeutet, dass ich, falls ich mich bedroht fühle, in Schutzhaft genommen werden könnte. Um dies zu vermeiden, schließe ich meinen Laden und fahre am folgenden Tage in die Schweiz. Nach etwa 8 bis 14 Tagen komme ich nach Villingen zurück. Kurz darauf werden bei einer weiteren Aktion meine Schaufenster zertrümmert. In St. Georgen, wo ich einen ausgedehnten Kundenkreis habe. werden mir im Jahre 1935 meine Kundenkarten zwangsweise von einem Polizeibeamten abgenommen. Meine Kunden erzählten mir später, dass ihre Namen verlesen und sie selber verwarnt seien. Mein Name wird zusammen mit allen übrigen jüdischen Geschäftsinhabern in verleumderischer Weise in der Lokalzeitung erwähnt. Es reicht!

Meine Absicht zur Auswanderung in die USA reift bereits 1937. Ich verlasse Villingen, heirate am 9. März 1938 in Karbach Erna geb. Berney. Wir lassen uns im amerikanischen Konsulat Stuttgart 1. 1938 registrieren und sind bald darauf in Milwaukee, USA.

Mir und meiner Ehefrau gelingt es so, schon im Sommer 1938 in die USA auszuwandern. Hier erfahren wir von der bevorstehenden Deportation meiner Mutter und meiner Schwestern. Um diese abzuwenden, beschaffen wir für sie Cubavisen, in der Hoffnung, auf diese Weise unsere Angehörigen zunächst nach Cuba und von dort zu uns in die USA bringen zu können. Dieser Plan schlägt gründlich fehl. Es belastet mich bis an mein Lebensende in New York.

Zwei Geschwister, Paul und Irma, sind ab 1929 jeweils für kürzere Zeit in Villingen, sie wandern beide rechtzeitig in die Schweiz aus (1933 bzw. 1938).

1931 kommt als nächster David nach Villingen: Er ist bei seiner Familie hier in der Sebastian-Kneipp-Str. 36 angemeldet und betreibt ab 5. September 1934 ein Reisegeschäft der Wäschebranche in der Sebastian-Kneipp-Str. Ein Ereignis aus dieser Zeit zunehmender Boykottierung jüdischer Kaufleute:
David sitzt vier Monate im Gefängnis in Villingen vom 1. September 1937 – 31. Dezember 1937 wegen "Betrugs": Dazu sagt er nach dem Krieg aus:

Er fuhr mit einer gültigen Fahrkarte im Sonderzug nach Düsseldorf, bei der Rückreise wurde er aus dem Zug geholt, "ein Jude hat kein Recht, einen Sonderzug zu benützen" – deshalb kam er ins Gefängnis.

Das Gnadengesuch des Bruders Felix wird abgelehnt, weil er Jude ist.

Nach der Gefängnisstrafe wird er ausgewiesen (für dauernd). Wir finden seine Abmeldung zum 15. Januar 1938 in die Tschechoslowakei; sie wird prompt an die überwachende Polizei gemeldet. Von dort wandert er nach Israel aus, dann 1950 weiter in die USA. 1982 ist er dort verstorben. Die Eltern von Felix Zaitschek kommen 1934 hierher in die Sebastian-Kneipp-Str. ebenfalls aus Hagen.

Der Vater Berthold, geb. 1860, "kommt schon als sehr kränklicher Mann" nach Villingen. Er wohnt in der Familiengemeinschaft hier, nachdem er bereits 36 Jahre in Hagen i.W. mit seiner Frau verbrachte. Dort ist ein Teil ihrer Kinder geboren. Er stirbt hier am 6. Oktober 1935 abends neun Uhr im Krankenhaus Villingen.