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Biographien

Villinger und Schwenninger Schicksale

Viele der bisher in den Mahnwachen verlesenen Schicksale von Opfern des Nationalsozialismus in Villingen und Schwenningen sind hier, oder über die linke Seitenleiste auswählbar.

Alphabetisch geordnet






Lina Springmann, verh. Fries und verh. Reinhardt (11.10.1923-16.06.2006)

Am 1. September 1939 überfiel die deutsche Wehrmacht Polen und löste damit einen Krieg aus, in dem allein in Europa über 50 Mio. Menschen (Zivilisten und Soldaten) getötet wurden.
Aus der Sicht der Nationalsozialisten und ihrer Ideologie war es ein (Zitat):"Kampf der Rassen um Lebensraum", in dem die slawische Bevölkerung Osteuropas versklavt, vertrieben oder getötet werden sollte. Und Polen war das erste Opfer.
In der Zeit um November 1940 lernt Marian Lewicki die 17jährige Lina Springmann kennen. Lina lebt bei ihren Eltern in der Bärengasse 8 und arbeitet als Modistin in dem Hutgeschäft Schweiner, im selben Haus, in der Oberen Straße 19, in dem auch Marian ein Zimmer bei der Familie Hirth bewohnt. Durch diese Nähe haben sie häufigen Kontakt und zeigen sich auch in der Öffentlichkeit zusammen. Dass diese Freundschaft Probleme mit sich bringen könnte, müsste Marian eigentlich bewusst gewesen sein, denn eine Verordnung des Rassenpolitischen Amtes vom 20.August 1940 besagte – und ist den betroffenen "Zivilarbeitern polnischen Volkstums" bekannt gegeben worden -, dass der intime Umgang mit einer deutschen Frau mit dem Tode bestraft wird. Da Marians Mutter jedoch deutschstämmig war und sein Vater im 1. Weltkrieg in der kaiserlichen Armee gedient hat, sah Marian sich von dieser Verordnung nicht betroffen. Immer wieder beteuerte er gegenüber Lina und Herrn Görlacher, dass diese Verordnung auf ihn nicht zutreffe, da er deutscher Abstammung sei und deshalb auch nicht das vorgeschriebene "Polenabzeichen" (ein "P", festgenäht auf der Kleidung) tragen müsse. Eine Sichtweise mit dramatischen Folgen.
Am 9.September 1941 werden Marian und Lina von einem Gestapobeamten verhaftet, zunächst bei der Kriminalpolizei in der Bickenstraße verhört, dann in das Gefängnis nach Donaueschingen eingeliefert.
Ihr weiteres Schicksal beschreibt Lina Springmann in einer Befragung 1959 (Zitat); " Nach 14tägiger Haft im Gefängnis Donaueschingen kam ich dann in das Gefängnis nach Konstanz. Es mag dies Ende September gewesen sein. Dort befand ich mich ebenfalls 4 – 5 Monate im Gefängnis, ohne dass ich wegen meiner angeblichen strafbaren Handlung vernommen oder einem Richter vorgeführt worden wäre. Nach diesen Monaten im Gefängnis Konstanz kam ich mittels Zugtransport in das KZ Oranienburg (es wurde von ihr auch das KZ Ravensbrück genannt). Nach etwa 14 Tagen kam ich in das KZ Auschwitz, wo ich bis zum 20.4.1942 verblieben bin (es wurde auch von ihr der 30.Juni genannt)."

Marian Lewicki verblieb in Konstanzer Gefängnis bis zum 4. März 1941, dem Vorabend seiner Hinrichtung. Ein von ihm gestellter Einbürgerungsantrag fand keine Beachtung. Seit seiner Verhaftung begann die grausame Maschinerie der Gestapo zu arbeiten. Über die Gestapostelle Singen (sie war für Villingen zuständig) wurde der "Fall Lewicki" an die Gestapo-Leitstelle Karlsruhe weitergegeben und diese informierte das Reichssicherheitshauptamt in Berlin, die die Maßnahme "Tod durch den Strang" verfügte, Die Gestapo Singen wurde mit der Exekution Marians beauftragt. Als Todestag wurde der 5. März festgelegt, als Ort die Jungviehweide auf der Gemarkung Pfaffenweiler. Die Schutz- und Kriminalpolizei hatte für eine weiträumige Absperrung zu sorgen, polnische Zwangsarbeiter aus der weiteren Umgebung wurden zum Exekutionsplatz geführt, denn die öffentliche Hinrichtung sollte abschreckende Wirkung haben.
Marian wurde das sogenannte Urteil vorgelesen: Zunächst auf Deutsch, dann von dem Gestapobeamten Bernhard Steinhoff auf Polnisch. Des Weiteren haben an der Hinrichtung teilgenommen: Von Seiten der Gestapo u.a. Dr. Walter Schick aus Karlsruhe und Emil Truckenbrod aus Singen; von Seiten der Villinger Schutzpolizei u.a. Anton Eisenring, als Polizeiverwalter der Stadt Villingen Hermann Riedel, als Vertreter der Justiz und der Partei Jakob Hack und als Amtsarzt, der den Tod Marians bestätigen sollte, der Leiter des Gesundheitsamtes Dr. Karl Huber. Die Leiche des Toten wurde in die Anatomie nach Freiburg gebracht.
Lina Springmann hat von diesen Vorgängen erst nach ihrer Entlassung aus dem Konzentrationslager Auschwitz erfahren. In einem Schreiben bezeugte sie 1946, wie sie nach ihrer Rückkehr nach Villingen "verachtet" wurde, "mit Finger auf sie gezeigt" wurde, "wegwerfende Bemerkungen gemacht" wurden, manche Villinger und Villingerinnen "vor ihr ausspuckten". Ihre Mutter musste ähnliches erleiden.
Lina musste sich ¼ Jahr lang alle 3 Tage bei der Polizei melden. Ihr wurde ein Schreiben vorgelegt und damit bekannt gemacht (Zitat)."…dass meine Inhaftierung keine gerichtliche Strafe darstelle, sondern dass es sich bei den getroffenen Maßnahmen nur um eine Warnung gehandelt habe. Diese Erklärung musste ich unterschreiben." Ob "gerichtliche Strafe" oder nicht. Die Beziehung zweier junger Menschen zueinander kostete in der Zeit des Nationalsozialismus Marian Lewicki das Leben. Ebenso weiteren 38 polnischen Zwangsarbeitern in Baden. Sie sind aus demselben Grund wie Marian in der Zeit zwischen Juli 1941 und Oktober 1942 ermordet worden.
Lina Springmann verlor für lange Zeit ihre Freiheit und Lebensfreude. Sie starb als verheiratete Reinhardt im Alter von 83 Jahren hier in Villingen. Als Erinnerung an Linas Schicksal – und ich denke auch an das von Marian – soll eine Straße in dem geplanten Neubaugebiet des Kasernengeländes den Namen "Lina Springmann" tragen.

Mahnwache 24.11.2018, Münsterplatz, 19:00 Uhr