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Biographien

Villinger und Schwenninger Schicksale

Viele der bisher in den Mahnwachen verlesenen Schicksale von Opfern des Nationalsozialismus in Villingen und Schwenningen sind hier, oder über die linke Seitenleiste auswählbar.

Alphabetisch geordnet






Josef Heid (17.11.1882-21.12.1944)

Gedenktafel für Josef Heid am Heidplatz in Villingen

Familie
geb. 17.11.1882 in Stühlingen/Baden
Vater war Grenzaufseher

  • wurde als Zollbeamter durch eine einstürzende Halle erschlagen; Joseph war damals 6 oder 7 Jahre alt - die Familie war dadurch finanziell schlecht gestellt und aufgrund der ärmlichen Verhältnisse konnte Josef nicht das Abitur machen.
Erste Ehefrau Sofie, geb. Sorn
  • Geb. bei Bruchsal
  • ev - Josef war aus der Kirche ausgetreten, er war Freimaurer
  • Gest. mit 39.25 Jahren 14.11.1926 in Villingen
Zweite Ehefrau kam 1927 nach VillingenKinder:
  • Werner 1916 geboren (Sohn aus 1. Ehe)
  • die Söhne Winfried (1929) und Dieter (1933) kamen in Villingen zur Welt

Beruf, Wohnung
Seit 1903 war Heid Beamter, kam Anfang der 20er Jahre nach Villingen als Revisionsinspektor beim Bezirksamt (entspricht Landratsamt); bis 1933 in dieser Funktion in Villingen
letzte Wohnung in Villingen: Kirnacherstr. 26

Politische Tätigkeit
In Villingen von Anfang an für die SPD tätig. Seit 1922 Gemeindeverordneter bzw. Stadtverordneter. Nach der Gemeindewahl 1926 im Stadtverordnetenvorstand, Stellvertreter des ObmannsMitte der 20er Jahre Vorsitzender des Villinger Mieterschutzvereins

Vorsitzender der SPD Villingen 1927, 1930
Auf dem Wahlvorschlag für die Wahl der Stadtverordneten am 16.11.1930 steht er auf Platz 1 der SPD
In den gleichen Wahlperioden Mitglied des Kreisrats (Kreisrat zuständig für Amtsbezirke Villingen und Donaueschingen; Heid war Spitzenkandidat der SPD, sie erhielten bei der Wahl 1926 1 von 7 Sitzen, er war dort neben BM bzw. OBM Lehmann und Dekan Kling der einzige Villinger)

  • Wahlperiode nach 1930 Vorsitzender des Ausschusses für die Kreispflegeanstalt Geisingen, Mitglied im Ausschuss für die Landwirtschaftsschulen Donaueschingen und Villingen.

Auch über Villingen hinaus politisch tätig:

  • als die SPD Ende 1927 in Baden den kommunalpolitischen Ausschuss beim Landesvorstand einrichtete, war er einer der 12 Mitglieder
  • bei der Landtagswahl 27.10.1929 im Wahlkreis Villingen/Wolfach in den Landtag gewählt
  • bis 1933 einer der 18 SPD-Abgeordneten im 88 Mitglieder umfassenden badischen Landtag
    • Mitglied im Haushaltsausschuss und Berichterstatter eines Unterausschusses (Geschäftsgebaren der Badischen Bauernbank)
    • Schriftführer der SPD-Landtagsfraktion
    • er gehörte zu den SPD-Abgeordneten, die im Landtag am häufigsten das Wort ergriffen. Er redete nicht nur zu Haushaltsthemen, sondern zB. auch zur Fasnacht, als der Ev. Volksdienst einen Antrag zum "völligen Verbot des Fasnachtsunwesens" einbrachte.
  • Baden und die badische SPD bildeten im Reichsgebiet einen Sonderfall: nur in Baden hatte die "Weimarer Koalition" (Zentrum, SPD, Deutsche Demokratische Partei) einen dauernden Bestand: im Reichsgebiet bestand diese Koalition nur 1919/1920 und 1921, in Württemberg war die SPD nur 1918 - 1920 an der Regierung beteiligt, nirgendwo im Reichsgebiet hatte diese Koalition einen so langen Bestand wie in Baden: sie bestand von 1919 - 1932; 1932 zerbrach diese Koalition an der Konkordatsfrage.
    • SPD in Baden immer zweitstärkste Partei und schwächer als das Zentrum, ebenso in Villingen: Landtagswahl 1929: SPD in Baden 20,1% der Stimmen (Zentrum 36,6%), im Amtsbezirk Villingen 17,4% (Zentrum 45,5%), in der Stadt Villingen 20,8% (Zentrum 40,7%)

NS-Zeit
Anweisung der NS-Gauleitung 10.3.1933 ("dringender Funkspruch") u.a.: "Führer der S.P.D., für die eine persönliche Gefährdung besteht oder zu befürchten ist, sind in Schutzhaft zu nehmen" (Staatsarchiv Freiburg LRA Villingen Nr. 1246)Villinger Ortsgruppe der NSDAP schrieb 11.3.1933 an die örtliche Polizei:"Wir bitten folgende Persönlichkeiten sofort in Schutzhaft zu nehmen, da wir für deren persönliche Sicherheit infolge ihres seitherigen Verhaltens unseren Parteigenossen gegenüber, keine Garantie mehr übernehmen können; 6 Personen wurden genannt, darunter:

  • Josef Heid, M.d.L. Revisionsinspektor
  • Wilh. Schifferdecker, Gewerkschaftssekr.
  • Ludwig Uebler, Regierungsrat beim Arbeitsamt Villingen"
Das Schreiben war unterzeichnet von den Vertretern der hiesigen NSDAP-Ortsgruppe, der SS-Führung und der SA-Führung. (StAFr LRA Villingen Nr. 1246)In der Nacht vom 16. zum 17. 3. 1933 wurden sie von Villinger SA- und SS-Leuten festgenommen. Auf dem Weg zur Villinger Polizeiwache wurden sie misshandelt und dann der Polizei zur "Inschutzhaftnahme" übergeben.Aufgrund der Misshandlungen mussten sie für 10 Tage ins Krankenhaus und kamen dann ins Villinger Gefängnis.

In einer Anfrage des Villinger Bezirksamtes an das badische Innenministerium heißt es 13.4.1933:"Die Verletzungen, die die 3 Genannten infolge der Mißhandlungen davontrugen, waren nach dem Gutachten des hinzugezogenen Arztes .. derart, dass eine Aufnahme in das Amtsgerichtsgefängnis untunlich erschien und daher ihre Unterbringung in das Städt. Krankenhaus veranlasst werden musste. Die Entlassung der 3 Genannten aus dem Krankenhaus erfolgte am 27.März 1933, nachdem Bezirksarzt .. bestätigt hatte, dass sie ohne Schaden für ihre Gesundheit im Gefängnis inhaftiert werden können. - Durch die Krankenhausbehandlung sind laut anliegender Rechnung Gesamtkosten in Höhe von 162,60 RM erwachsen. Wir fragen ergebenst an, ob die Kosten von der Staatskasse getragen werden. - Wir bemerken, dass die Nationalsozialisten, die Übler und Genossen festgenommen und auf dem Wege zum Bezirksamt misshandelt haben, keinen amtlichen Auftrag zur Inhaftnahme dieser Personen hatten." (StAFr LRA Villingen Nr. 1246)Alle 3 Misshandelten mussten ihre Krankenhauskosten selbst bezahlen.Im Villinger Bezirksgefängnis blieb Heid bis 29.5., anschließend kam er ins KZ Heuberg und wurde dort am 27.6.1933 entlassen. Auch für den Gefängnis- und KZ-Aufenthalt musste er bezahlen.

Es spricht für den Umgang mit Menschen und Schicksalen im 3. Reich, dass man in den Akten sehr ausführlich über Haftkosten, Krankenhauskosten usw. erfährt, aber sonst nicht über die Betroffenen - der Häftling ein Kostenfaktor.

Nach Rückkehr vom KZ Heuberg musste J. Heid sich 2 - 3 mal in der Woche bei der Polizei melden, "auf dem Weg dorthin musste er sich viele Belästigungen gefallen lassen. Sein Erscheinen in der Öffentlichkeit hat die Volkswut so angestachelt, dass eine Menschenansammlung im Sept. 1933 vor das Haus Kirnacherstr. zog und Rufe wie: Holt ihn runter, schlagt ihn tot zu hören waren. Wir waren froh, als die Polizei erschien, und den Vater wieder in Schutzhaft nahm", erinnert sich sein Sohn.
Nachdem die Sitze der Kommunisten in den Gemeindevertretungen zu dieser Zeit schon annulliert waren, konnten die 3 Genannten aufgrund der "Behinderung der persönlichen und bürgerlichen Freiheit", wie es heiß, ebenfalls nicht mehr an den Sitzungen teilnehmen.

Am 7.4.1933 wurde Heid eröffnet, dass er auf Grund des Gesetzes zum Schutz des Berufsbeamtentums unter Zubilligung einer Pension von 50% des Ruhegehaltes fristlos entlassen sei.

Nach seiner Entlassung aus dem K.Z.Lager Heuberg bekam Heid am 1.8.33 von der Stadtverwaltung Villingen den Stadtverweis. Der 17Jährige Sohn musste den Umzug allein organisieren (Mutter war im Krankenhaus Schwenningen zur Entbindung, Vater im Gefängnis), ebenso wie die ganzen Behördengänge.

Zum Stadtverweis und der Wohnungssuche:

  • Konstanz - dort wohnte Heids Bruder, Bäcker mit eigenem Vermögen - weigerte sich
  • Öhringen - dort wohnte ein Schulfreund, der sich für Heid einsetzte - weigerte sich
  • Kreuzlingen - dort hatte Heid einen Bekannten als Bürgen - Ausreise wurde verweigert
  • Bruchsal - Heids Schwiegereltern wohnten in der Nähe und kauften ein Haus, auf J. Heids Frau überschrieben; deshalb wurde der Zuzug genehmigt.

3 Tage nach der Geburt seines jüngsten Sohnes wurde J. Heid am 6.9.33 bis 1.10.33 wegen angeblicher Provokation der SA. in das Gefängnis Villingen gesteckt.

Josef Heid wurde aus der Schutzhaft im Villinger Gefängnis von der Polizei auf den Bahnhof gebracht; er durfte nicht mehr in seine Wohnung.

Heid musste immer, wenn er aus Bruchsal wegwollte (zum Besuch der Schwiegereltern, zur Reichsgartenschau nach Stuttgart, nach Karlsruhe zum Spazierengehen) bei der Polizei um Genehmigung fragen (wurde immer erteilt)
Anfangs in Bruchsal mit Hühnerzucht beschäftigt; 1934 Lizenz um Steuerbüro aufzumachen; 1941 Dienstverpflichtung zum Domänenamt in Bruchsal (erst da erhielt er reguläres Gehalt) Auch diese geringe Nebeneinnahme wurde ihm nach knapp 1.5 Jahren wieder genommen und jede derartige Tätigkeit verboten.
Im Karlsruher Stadtgarten traf J. Heid immer wieder andere Politiker, aber darüber sprach er zuhause nicht.
In Bruchsal wurde die Wohnung mehrfach von der Gestapo auf den Kopf gestellt.

Nach dem gescheiterten Attentat vom 20.7.1944 wurden im ganzen Reichsgebiet die früheren Mandatsträger der politischen Parteien verhaftet und in Konzentrationslager eingeliefert. Da Heid SPD-Landtagsabgeordneter gewesen war, kam er ins KZ Dachau. Dort ist er am 21.12.1944 umgebracht worden.
Die Ehefrau erhielt vom K.Z.Lager Dachau am 27.1.45 die Mitteilung erhielt, dass ihr Mann am 21.12.44 infolge einer Lungenentzündung verstorben sei. Sie bekam weder die Nachlasssachen ihres Mannes, noch eine sonstige nähere Mitteilung über seinen Tod.

SPD beantragte 1985 eine Gedenktafel am Heid-Platz; bei der Einweihung der Gedenktafel 21.8.1987 war Dieter Heid anwesend.

H. Lörcher 25.10.2014